Sie ist Lehrerin, Feministin, DJ, Autorin, Influencerin und Mutter: Svenja alias Tante Kante lebt, was sie liebt und sagt, was sie denkt – auch zum Thema Mutterschaft. In ihrem Alltag jongliert die 40-Jährige zwischen Schuldienst, Dancefloor und Mutterschaft im Wechselmodell.
Das kleine blaue Fachwerkhaus stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Es ist Teil einer Hofreite, in einem eher dörflichen Stadtteil von Wiesbaden. Ringsum Felder, Wiesen, enge Gassen, heruntergelassene Rollläden. Dass die Frau, die wir bisher nur aus dem Internet kannten – mit Mullet und Tattoos – hier mit ihrer Familie lebt: Es überrascht uns. Und gleichzeitig passt es in das diverse Bild, das Instagram von der 40-Jährigen zeichnet. Svenja, die sich auf Social Media “Tante Kante” nennt, passt in keine Schublade: Sie schreibt für ihr Leben gern und scheut sich nicht, dabei auch unbequeme Themen anzusprechen wie Mom Shaming oder Menstruationsbeschwerden. Sie liebt Mode und Musik und bewegt sich auch in diesen Feldern abseits des Mainstream. Sie ist Mutter zweier Töchter, 9 und 11 Jahre alt, und unterrichtet am Gymnasium ??? und Deutsch
Wir kennen uns von Instagram, wo du als Influencerin mit fast 17.000 Follower*innen giltst. Wie bist du dort so aktiv geworden?
Nach der Geburt meiner ersten Tochter habe ich angefangen, für die Familie zu bloggen. Schreiben war schon immer meine Art, mich auszudrücken. Wenn ich schreibe, verstehe ich mich selbst besser. Es ist ein bisschen so, als würde ich mich sortieren. Als Instagram aufkam, fand ich dort schnell Resonanz für meine Texte.
Du hast dort die Mutterschaft zum Thema gemacht. Warum das?
Das Thema Mutterschaft hat mich sehr beschäftigt. Ich hatte vorher unrealistische Vorstellungen davon und war dementsprechend mit der neuen Situation überfordert. Ich war enttäuscht und wütend, dass ich scheinbar so schlecht über das Leben mit Kindern informiert war. Diese Diskrepanz zwischen dem, was ich mir vorgestellt hatte, und dem, was ich dann vorgefunden habe, war so groß, dass ich das erst einmal verarbeiten musste. Und das habe ich in Texten gemacht. Die Reaktionen darauf haben mir gezeigt, dass ich mit diesen Gefühlen nicht allein bin, dass aber viel zu wenig darüber gesprochen wird. Das hat mich motiviert, weiter zu machen.
Du lebst vom Vater deiner Töchter getrennt. Wie organisiert ihr die gemeinsame Erziehung?
Wir leben im Wechselmodell, das heißt, die Kinder sind einen Teil der Woche bei meinem Ex und einen Teil der Woche bei mir und meinem neuen Partner. Wir tauschen also nicht die ganze Woche hin und her, sondern haben kürzere Abstände. Außerdem sind die Kinder sind etwas mehr bei uns als bei ihm. Da er um die Ecke wohnt, ist der Wechsel relativ einfach und jeder sieht die Kinder alle paar Tage. Seit kurzem gibt es auch einen Tag, an dem wir die Kinder „vereinzeln“ - also ein Kind ist bei ihm und eines bei uns. Das hat sich so ergeben und wir finden das alle schön, weil man dann einfach mal viel Zeit nur mit einem Kind hat.
Die Kinder pendeln an den jeweiligen Tagen selbstständig hin und her. An den Wechseltagen gehen sie morgens von einem Zuhause los in die Schule und gehen nachmittags dann zum/zur anderen. Da wir feste Tage haben, kennen alle den Rhythmus. Dinge, die die Kinder brauchen, wie zum Beispiel das Lieblingskuscheltier, bringen wir Erwachsenen dann von A nach B. Wir hoffen, dass es den Kindern so möglichst leicht fällt, die Trennung zu akzeptieren. Es soll für sie so einfach und alltäglich wie möglich sein. Die größte Herausforderung sind nämlich eher die Emotionen, die bei dem ganzen Hin und Her aufkommen. Ich spreche hier von Gefühlen wie Sehnsucht, Trauer und Ängsten.
Die meisten DJs fangen in ihren Zwanzigern an aufzulegen und hören auf, wenn die Kinder kommen, weil es nicht mehr zu ihrem Lebensstil passt. Bei dir war das anders. Erzähl doch mal ...
Die ersten Einflüsse von elektronischer Musik habe ich als Teenager in den Neunzigern bekommen. Damals kam Techno aus den Staaten, aus Detroit, nach Deutschland, genauer gesagt nach Frankfurt am Main. Das war die Zeit von Sven Väth, DJ Hell, Monika Kruse, Carl Cox, Chris Liebing etc. Das waren meine Vorbilder und ich habe viel Techno gehört und die Frankfurter Clubs angehimmelt.
In meinen Zwanzigern habe ich dann studiert und es gab andere Einflüsse. Wirklich auf einen Rave bin ich erst wieder gegangen, als meine zweite Tochter aus dem Gröbsten raus war. In der Zwischenzeit waren etwa 15 Jahre vergangen und es war viel passiert in der elektronischen Musik. Die Geburt des Minimal habe ich komplett verpasst und erst 2018 oder 19 überhaupt kennengelernt. Ich mochte die Art zu feiern und entdeckte meine Liebe zur elektronischen Musik wieder. Kurz vor der Pandemie habe ich dann angefangen aufzulegen. Während der Lockdowns waren wir alle auf uns selbst zurückgeworfen oder mussten Strategien entwickeln, um mit dieser Situation umzugehen. Ich habe mich damals ins DJing vertieft und wirklich viel Zeit investiert, um diese Art des Musikmachens zu lernen. Abends, wenn die Kinder im Bett waren, habe ich stundenlang an den Plattentellern gestanden und aufgelegt. Das war damals meine Hauptbeschäftigung.
Welche Art von Musik legst du auf und was gefällt dir daran?
Innerhalb der elektronischen Musik gibt es viele Subgenres. Die Musik, die ich spiele, würde ich am ehesten als Minimal, Electro und Deep House bezeichnen, mit vielen Einflüssen von Funk und Breakbeat. Ich mag daran vor allem die repetitiven und klaren Elemente. Minimal ist, wie der Name schon sagt, eine Musikrichtung, die sehr reduziert klingt. Minimal zeichnet sich vor allem durch seine Einfachheit und Konstanz aus, die mir in gewisser Weise Sicherheit gibt. Es passiert einfach nicht so viel, man kann sich in der immer wiederkehrenden Abfolge der Töne verlieren. Sie hat für mich etwas Universelles und Kraftvolles. Es ist eine Musik, die den ganzen Raum ausfüllt und eigentlich nichts von dir will, außer dass du in dem Moment einfach da bist. Keine Peaks, keine krassen Drops, kein Mitsingen - einfach eine tiefe, voluminöse Gleichförmigkeit. Deep House und Elektro funktionieren anders. Sie sind viel verspielter, haben mehr Vocals und bedienen sich musikalischer Elemente, die im Minimal nicht so häufig verwendet werden. Das macht die Musik luftiger und kommunikativer. Sie lässt sich aber sehr gut mit Minimal kombinieren, denn was alle drei Musikrichtungen gemeinsam haben, ist ihre Klarheit. Da gibt es nichts Verwaschenes, was großartig ineinander übergeht oder verschwimmt, sondern da trifft jeder einzelne Ton on point für sich in unser Ohr – und das liebe ich. Alles zusammen ergibt dann eben ein Set von dreistündiger Musik, die im Prinzip wie bei einer Dramaturgie im Theater von tieferen, trippigen Phasen zu hören, freie Phasen einmal durch diese Genres führt. Das macht viel mit mir.
Ist das Auflegen für dich auch ein Ausgleich zu deinem Alltag als Mutter und Lehrerin?
Ich bin so gestrickt, dass ich zu meinem sehr kognitiv ausgerichteten Beruf und der Mutterschaft, die vor allem das Sich-um-andere-kümmern beinhaltet, auch Elemente brauche, die meiner sehr gefühlvollen Persönlichkeit Raum geben. Ich brauche Orte, an denen ich loslassen kann, an denen wir alle gemeinsam loslassen. Im Club, in der Nacht, da findet ein anderes Leben statt als am Tag in der Schule und Zuhause. Es ist ein Rahmen, in dem Persönlichkeitsanteile von mir erwachen können, die ich in anderen Bereichen meines Lebens eher zurückstelle. Das ist für mich völlig in Ordnung und sogar schön. Ich spreche hier nicht von einem blöden Alltag und einem tollen Club, sondern es ist das Vorhandensein all dieser Elemente, um glücklich sein zu können.
Auflegen bis zum Morgengrauen. DJ und Mutter sein – wie geht das zusammen?
Ich habe den großen Luxus, selbst entscheiden zu können, wann meine Energie dafür reicht und wann nicht. Ich verdiene mir damit etwas dazu, muss aber meinen Lebensunterhalt nicht damit bestreiten. Einzig und allein während der Zeit kurz nach der Trennung war ich finanziell auf die Gagen angewiesen, das ist jetzt zum Glück nicht mehr der Fall. Ich habe größten Respekt vor allen Menschen, die im Schichtdienst arbeiten und eine Elternschaft stemmen oder die allein mit Kunst ihr Geld machen und permanent auf kreativen Output und Networking angewiesen sind. Bei mir ist das alles eine Frage von Privilegien und Kapazitäten. Wenn ich es nicht schaffe, kann ich es sein lassen. Am Wochenende, wenn die Kinder bei uns sind, spiele ich keine Gigs. Ich habe einen Teilzeitjob und genug Zeit, mich auszuruhen.